Gesundheitsmotor E-Bike

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Prof. Dr. Swen Malte John ist unter anderem Gesundheitsexperte bei ambi Austrian Mountainbike Institut, welches bereits 2019 das Thema "Gesundheitsmotor eBike" als strategisches Thema zur Weiterentwicklung des Sportes entwickelt hat. Intensiv behandelt wurde dies auf den Mountainbike Kongressen 2019 sowie 2020.

Dieses Interview wird unterstützt vom Mountainbike Kongress Österreich, bei dem der Interviewte Herr Swen Malte John bereits referieren durfte. Vielen Dank an den Organisator des Kongresses, Herrn Harald Maier für die Kontaktherstellung. Wem das Interview gefällt, für den könnte der 6.Mountainbike Kongress Österreich vom 4.-6.Oktober 2022 interessant sein. Hier zum Programm.

Wenn “Sitzen das neue Rauchen” ist, ist dann “Bewegung der alte Jungbrunnen“?

Ja, in der Tat, das kann man so sagen. Bewegung ist für uns Fluch und Segen zugleich. Wir sind dazu verdammt, wenn man es so sehen will, uns zu bewegen, denn dann funktioniert unser Körper auch, wie er es soll. Gleichzeitig werden dabei auch Glückshormone freigesetzt, da aufgrund von Bewegung entsprechende Substanzen in unserem Gehirn ausgeschüttet werden, sodass wir uns wohlfühlen. Wir sind keine Faultiere, bei denen ist das anders. Die können den ganzen Tag am Ast hängen und denen geht nichts ab. Bei uns ist das von der Natur aus anders vorgesehen. Insofern kann man tatsächlich sagen, Bewegung hält uns jung und somit passt Ihre Formulierung.

Welche Risken bergen zu wenig Bewegung, also sowohl auf einer physischen als auch mentalen Ebene?

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Bewegungsmangel als eine der größten Gefahren für die Gesundheit identifiziert und eine große Studie durchgeführt. Diese zeigt, dass es leider gerade bei den jungen Menschen es so ist, dass sich 80% deutlich zu wenig bewegen, und dies ist eine große Gefahr für unsere Gesundheit. Die WHO hat deshalb, weil die fehelende Bewegung ein großer Killer ist, einen „Global Action Plan Physical Activity“ ins Leben gerufen, wo man bis 2030 versuchen will, dass sich die Menschen um mindestens 15% mehr bewegen. Ein sehr bescheidenes Vorhaben in dem Zusammenhang, aber immerhin mal ein Ansatz. Es macht deutlich, dass die WHO - der es um unser aller Gesundheit geht - erkannt hat, dass, wenn wir nichts gegen den Bewegungsmangel tun, es uns in der Zukunft gesundheitlich schlechter gehen wird. Und da sind wir auch schon bei den Auswirkungen, die körperliche Inaktivität auf unser mentales Wohlbefinden hat. Wir wissen ja, dass Kinder in wohlhabenden Ländern viel unglücklicher sind als Kinder in nicht wohlhabenden Ländern, und das wird ganz wesentlich darauf zurückgeführt, dass sie sich zu wenig bewegen und dieses leider dazu prädestiniert, dass man einen Durchhänger hat. Dem entsprechend ist es ein großes Problem, schon die junge Generation dazu zu bringen, da sie kaum Bewegung haben. Dies gilt aber letztendlich für alle Altersstufen.

Ist es jemals zu spät, mit mehr Bewegung anzufangen?

Ganz bestimmt nicht – also in keinem Alter. Auch die Älteren, und gerade diese müssen, um vor allem im Gehirn fit zu bleiben, dafür sorgen, dass sie ihren Herzkreislaufzirkulation stimulieren, und das geht eben eigentlich nur so richtig durch Bewegung. Natürlich sollten sie nun nicht gleich vom Nichtstun in maximale Belastungen einsteigen. Gerade dafür wäre dann die Benutzung eines eBikes eine sinnvolle Sache, weil es eine gleichmäßige Kreislaufbelastung ist, die die meisten Menschen problemlos vertragen werden. Wenn es aber schon Ältere sind, ist es sicher auch sinnvoll, sich nochmal ärztlich untersuchen zu lassen, um zu gucken, ob grundsätzlich die Herz-Kreislauf-Funktion akzeptabel ist. Die wird sich wesentlich verbessern, wenn man in Richtung mehr Bewegung aufbricht.

In einem Vortrag sagten Sie, „Wer arm ist, stirbt früher“. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um diesem Schicksal zu entrinnen?

In der Tat ist dies ein großes Problem. Die Weltgesundheitsorganisation spricht da von den sogenannten „social determinants of health“. Soll heißen, wenn man aus den bildungsfernen Schichten kommt, dann ist es leider wahrscheinlicher, dass man erkrankt und letztendlich auch früher stirbt. Und der Vorschlag der Weltgesundheitsorganisation ist Aufklärung über die Möglichkeiten, die es gibt, um seine Gesundheit zu erhalten. Ganz wesentlich ist in dem Zusammenhang eine vermehrte Bewegung. Und dafür wäre es sinnvoll, neben der Aufklärung auch Möglichkeiten zu schaffen, aktiv zu werden. Den Schichten, die sich die Informationsquellen nicht beschaffen können, wie andere Schichten das tun, sollen auch erfahren, wie wichtig es ist, sich zu bewegen. Aktivitäten wie Schulbiken oder Sportfreizeiten sind sinnvolle Sachen, aber natürlich auch Bewegung auf Krankenschein. Das wäre aus meiner Sicht eine außerordentlich gute Idee, weil wir schon gehört haben, Bewegung ist Jungbrunnen. Wenn wir nur die Menschen dazu bringen, sich mehr zu bewegen, dann werden sich viele körperliche Gebrechen von selbst lösen.

Welche Rolle spielt da das eBike auf Krankenschein?

Ich denke im Rahmen einer Gesundheitsversorgung, die sich auch präventiv versteht und dazu beitragen möchte, dass Menschen seltener krank werden, dass das Kind erst gar nicht in den Brunnen fällt, ist es natürlich sinnvoll sich Gedanken zu machen. Was können wir tun, an welchen Punkten können wir ansetzen?  Da haben wir schon gehört und die Weltgesundheitsorganisation weiß das, dass weniger körperliche Inaktivität ganz wesentlich zu einer besseren Gesundheit in der gesamten Bevölkerung beitragen würde. Somit ist Bewegung auf Krankenschein an sich eine gute Idee. Gerade für die, die sich bisher noch nicht so viel bewegen und vielleicht auch nicht das Wissen haben, wie wichtig das wäre. Und an diesem Punkt kommt das eBike ins Spiel. Wenn ein Aufzug da ist, dann nehmen die Menschen im Allgemeinen den Aufzug und gehen nicht die Treppe. Wir sind halt bequem, und Bewegung erfordert zunächst einmal Überwindung. Wenn es aber etwas ist, das gleichzeitig einen Spaßfaktor hat, sieht es schon wieder anders aus. eBike-Fahren ist eigentlich für jeden etwas, dass er oder sie gerne tut. Auf einem Fahrrad zu sitzen, sich in der freien Natur zu bewegen und gleichzeitig damit sehr wenig Aufwand investieren zu müssen, wie das bei einem eBike der Fall ist, das ist halt eine der Möglichkeiten, genau diese Hürden zu überwinden. Diejenigen, die sich bisher nicht so viel bewegt haben kommen dadurch auf den Geschmack der Mehrbewegung. Wir wissen eben, dass unter internistischen Aspekten die Nutzung des eBike eine gleichmäßige Kreislaufbelastung ist, die auch einen Kreislauf, der nicht so viel Bewegung gewöhnt ist, nicht sofort überfordert und damit gleichzusetzen ist mit leichtem Jogging. Dann haben wir beim eBiken noch den Punkt, dass wir keine große Gelenkbelastung haben. Wenn jemand anfängt, zu joggen, gerade aus dem Zustand heraus, wo er sich in der Vergangenheit vielleicht nicht so viel bewegt hat, dann kann das unter Umständen gerade bei älteren Menschen durchaus auf die Gelenke gehen. Das ist beim eBike nicht der Fall, es ist eine sehr gleichmäßige Belastung für die Gelenke, die auch dafür sorgt, dass diese gut geschmiert werden. Daher spricht eine ganze Menge von Aspekten dafür, dass man Menschen, die sich nicht so viel bewegen, ermöglicht – zum Beispiel auf Krankenschein – das auf eine Art und Weise zu tun, die Spaß macht. Man kann dann auch davon ausgehen, dass sie dieses Angebot im relevanten Umfang wahrnehmen werden.

Wie wäre es denn zum Beispiel mit dem Thema Schwimmen auf Krankenschein, also sozusagen ein Ticket fürs Freibad, dass die Leute schwimmen gehen. Was wäre da vergleichsweise anders zu so einer Maßnahme?

Es schließt sich nicht aus, das würde ich auch für eine gute Idee halten. Der Punkt ist da, dass es beim Schwimmen auch eine geringere Gelenkbelastung gibt. Aber wenn Sie eine gleichmäßige Kreislaufbelastung beim Schwimmen erreichen wollen, dann müssen Sie sich schon vornehmen, einen Kilometer zu schwimmen. Das können Sie auch langsam machen, aber da sind die Hemmnisse wahrscheinlich größer. Wenn man das nicht gewöhnt ist und sich dann abverlangen muss, da wirklich viele Längen zu kraulen oder was auch immer für einen Schwimmstil zu verwenden, dann ist das besonders am Anfang sicher weniger mit Spaß behaftet, als wenn man sich einfach auf etwas draufsetzt. Das sieht man ja den Menschen, die auf so einem eBike sitzen, eigentlich auch immer an - ich kann eigentlich sofort sagen, von der Haltung her, ist das ein eBike oder ein normales Bike. Dann kann man sich unter dem Aspekt des Spaßfaktors vorstellen, dass es wahrscheinlich noch mehr Menschen zu gewinnen gelänge, wenn man es mit dem eBike macht, als wenn man es mit dem Schwimmen versucht. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Freifahrtschein ins Schwimmbad so oft genützt würde, als wenn es irgendwie eine Möglichkeit gäbe, ein eBike zu benutzen.

Wieso ist es aus Ihrer Sicht für viele Menschen uninteressant, Ihre Lebensgewohnheiten zu ändern?

Ja, das ist halt unser Problem, dass wir eine gewisse Bequemlichkeit haben. Und Gewohnheiten sind erst Spinnweben und dann Drähte, und umso mehr muss es attraktiv sein, seine Lebensgewohnheiten zu ändern. Da sind wir wieder bei dem Thema, dass, wenn etwas Spaß macht, man dann eher darüber nachdenken wird, an die Lebensgewohnheiten ein Fragezeichen zu setzten als, wenn es keinen Spaß macht. Dabei ist es eben so einfach, sich mehr zu bewegen, es ist für viele Organfunktionen wichtig und Bewegung kann so gut vorbeugen, dass gesundheitliche vermieden werden.

Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass das Ändern von Lebensgewohnheiten oft damit verbunden ist, bei kleinen Dingen anzufangen, die dann aber tatsächlich schon eine große Wirkung erzielen. Wie sehen Sie das?

Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Die Erfahrung ist auch, dass die Menschen, die sich auf das eBike einlassen, zuerst einmal nur ausprobieren und dann plötzlich anfangen, große Strecken zurückzulegen. Wenn man sie vorher gefragt hätte, hätten sie auch nicht vermutet, dass sie diese bewältigen würden. Aber das tun sie. Und damit ist eben auch wieder deutlich, dass etwas das Spaß macht und keine besondere Belastung mit sich bringt, in der Lage ist, Menschen genau dazu zu bringen, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern.

Glauben Sie, es macht einen Unterschied, ob man als Kind durch Sportwochen mit Bewegung in Berührung kommt oder nicht?

Ja, ich glaube, wenn man als Kind die Erfahrung gesammelt hat, dass Sport etwas ist, das Spaß macht und man mit anderen gemeinsam erlebt werden kann, dann ist das etwas, was auch beim Radeln sehr gut funktioniert. Dies kann einem dabei helfen, sich wieder aus einer Phase der Inaktivität in Richtung mehr Bewegung zu entwickeln. Es ist also prima, so etwas anzubieten, und wir hatten es sowieso gesagt, dass es gerade bei den bildungsfernen Schichten eine gute Idee ist, sich mehr zu bewegen. Innerhalb der Familie werden nicht viele Anreize geschaffen, sich zu bewegen. Das zeigen jedenfalls die Studien. Entsprechend wäre es toll, wenn Angebote durch die Gemeinden, durch die Schulen oder wen auch immer an Kinder gemacht würden, um mit Sport in Berührung zu kommen.

Wäre zum Beispiel auch ein eBike-Verein für Kinder sinnvoll?

Aus meiner Sicht wäre das sehr sinnvoll. Es gibt da mehrere Aspekte, die diesbezüglich wichtig sind. Wir wissen leider, dass 30% der Kinder übergewichtig sind und diese Kinder haben das Problem, dass sie von den anderen Kindern gehänselt werden. Jedenfalls häufiger, als wenn sie nicht übergewichtig wären, und sie haben auch noch das Problem, dass sie körperlich nicht so gut mithalten mit den anderen. Bei einem E-Bike würden sich die Unterschiede aufheben. Die Kinder wären dann plötzlich in der Lage, auch mit anderen, denen sie zuvor sportlich unterlegen waren, mitzuhalten. Das Ganze macht auch noch Spaß und würde wahrscheinlich für den Selbstwertgefühl der Kinder einen erheblichen Beitrag leisten können. Außerdem könnte es im Zweifelsfall auch dazu beitragen, dass sie vielleicht auch von ihrem Übergewicht loskommen, wenn sie anfangen, sich mehr zu bewegen. Ein wesentlicher Weg, um auch dafür zu sorgen, dass sich der vermeintliche Hunger, den sich viele, die den ganzen Tag nur vor dem Fernseher sitzen, einbilden, relativiert. Interessanterweise sorgt mehr Bewegung dafür, dass wir eher weniger Hunger haben. Das will ich im Einzelnen jetzt nicht ausführen, aber es gibt eine Reihe von Studien, die das nochmal deutlich machen. Wenn man nur anfängt, sich draußen ein bisschen zu betätigen, oder wo auch immer, dann ist es eher weniger wahrscheinlich, dass man sich ständig zwischendrin noch etwas isst.

Was würden Sie unseren Lesern, die jetzt Lust auf mehr Bewegung bekommen haben, empfehlen? Wo anfangen und wie durchhalten?

Also bei Älteren wäre es sinnvoll, sich mal durchchecken zu lassen, wenn man eine längere Phase der Wenigbewegung hinter sich hat. Ansonsten mit einer mäßigen Bewegung anfangen, mit einer gleichmäßigen Herz-Kreislaufbelastung und geringer Gelenkbelastung. Da würde sich eben das E-Biken anbieten. Auch für ältere Menschen sicher sinnvoll, sich beraten, also ein Bikefitting machen zu lassen, und dafür zu sorgen, dass man in der Position auf dem Fahrrad sitzen kann, die einem am besten auskommt. Das könnte zum Beispiel eine Position sein, in der man den Lenker so einstellt, dass man aufrecht sitzen kann, also gerade an Ältere gedacht. Bei Jüngeren ist das noch unproblematischer, da ist es sicher nicht erforderlich, wenn keine besonderen Umstände bekannt sind, sich jetzt noch einmal ärztlich untersuchen zu lassen. Aber grundsätzlich gilt dasselbe: mit mäßiger Bewegung anfangen und nicht gleich maximal in irgendetwas einsteigen und dann vielleicht auch ein Misserfolgserlebnis haben. Das kann am Anfang nicht so gut funktionieren, denn man sollten dem Körper die Möglichkeit geben, sich langsam an mehr körperliche Belastung anzupassen. Und man wird dann auch merken, das macht richtig Spaß.

Vielen herzlichen Dank für das Interview, Herr Professor John und noch einen schönen Tag!

Danke, den wünsche ich Ihnen auch.