Freud und Leid am Weg nach Tokio

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Wenn ich hier so sitze und über die ersten Zeilen nachdenke, überschlagen sich Gedanken und Emotionen förmlich. Eine Tasse Kaffee hilft beim Sortieren. Das Jahr 2021 - ein Teamwechsel, ein Meistertitel und die Olympischen Spiele. Das ist die sportliche Kurzfassung, allerdings gibt es dazu eine Menge Geschichten, von denen ich manche wohl noch mein ganzes Leben lang erzählen werde.

 

Jahresrückblick 2021

Oktober 2020 – das scheint etwas weit ausgeholt, aber hier fängt die ganze Story an. Die Olympischen Spiele – das Ziel einer langen Reise – wurden schon vor Monaten auf 2021 verschoben und damit auch mein Fokus. Für mich hat sich dadurch die Chance ergeben, mich nochmal mit meinem Weg dorthin auseinanderzusetzen. Meine Idee, in ein österreichisches Team zu wechseln und im nächsten Jahr mit einem österreichischen Rad an den Start zu gehen, nahm langsam Form an. Sollte ich es zu den Spielen schaffen, dann will ich damit den richtigen Leuten etwas zurückgeben – so meine Gedanken.

April 2021 – Frühling. Nach einem kaltnassem Saisonstart bei der KTM Kamptal Klassik Trophy geht es diesmal ins warme Italien. Ein Kurztrip nach Verona zu einem C2 Rennen. Zum ersten Mal in diesem Frühling ist es sonnig und warm. Das italienische Flair in der Stadt und rund um die Rennstrecke kann man förmlich greifen. Die Stimmung im Team ist super, das Rennen läuft für mich nach Plan, und ab diesem Wochenende war ich mir sicher, im richtigen Team gelandet zu sein! Damals hätte ich nicht gedacht, dass mein Jahr noch so nervenaufreibend wird.

 

Mai 2021 – Weltcup. Seit dem Beginn der Saisonvorbereitung war der 9. Mai in meinem Kalender rot angestrichen. Nicht nur, weil Albstadt den Weltcupauftakt darstellte, sondern vor allem, weil die ersten beiden Weltcups der Saison als Qualifikaitonsrennen für Olympia ausgeschrieben waren. Im Vorjahr habe ich schon zwei Quali-Ergebnisse erbracht und somit war meine Ausgangsposition gut. In Albstadt wollte ich den Sack endgültig zu machen. Wie so oft kam alles ganz anders.

Der rot angestrichene 9. Mai fängt gut an. Ich kann mich in der hektischen Startrunde um einige Positionen verbessern und fahre solide in den Top 25, was für eine Fixqualifikation gereicht hätte. Hätte, denn in Runde drei verliere ich nach einem Fahrfehler Luft aus meinem Hinterreifen und muss in der technischen Zone anhalten, um das Hinterrad zu wechseln. Das Ganze ist schnell erledigt und ich kann das Rennen wieder aufnehmen, jedoch weit hinter der aussichtsreichen Position, in der ich mich zuvor befunden habe. Mental war das wie ein Schlag ins Gesicht. In einem Weltcup holt man sich 20 Positionen nicht einfach so zurück und genau dieser Gedanke hat mich über das restliche Rennen zermürbt. Mentaltraining und intensive Vorbereitung hin oder her, damit konnte ich an diesem Tag nicht umgehen. Also weiter nach Tschechien, zur zweiten Chance.

Mit dem ersten Streckentraining in Nove Mesto ist die Geschichte von der Vorwoche vergessen und ich fühlte mich bereit, diesmal meine volle Leistung abzurufen. Der Start in Tschechien kommt mir entgegen. 100 Meter auf Asphalt geradeaus, dann knapp drei Minuten auf breitem Schotter, der einige Möglichkeiten bietet, sich nach vorne zu arbeiten. Wie üblich bei wichtigen Rennen war mein Kopf auch in Nove Mesto ab 15 Minuten vor dem Start vollkommen leer. An so einem Tag bleiben mir meist nur wenige Schlüsselmomente in Erinnerung, jene von diesem Sonntag in Tschechien könnten besser sein.
Unmittelbar nach dem Start geht mein Tritt ins leere und ein Blick nach unten bestätigt meine schlimmste Befürchtung – Kettenriss. Das ganze Feld ist an mir vorbeigezogen und ich bin die Startgerade entlanggerollt.

In der technischen Zone bekomme ich in Rekordzeit eine neue Kette montiert und starte eine Aufholjagd, die nach einem schweren Sturz im tschechischen Krankenhaus endete. Das war’s also. Das Ende einer jahrelangen Reise Richtung Tokyo. Oder doch nicht?

Zwei Tage später wurde ich für die Olympischen Spiele nominiert.

Ich war nach wie vor der einzige Österreicher, der zwei Qualifikationslimits geschafft hat. Die Reise war also noch nicht vorbei! Meine Leistungen aus dem Vorjahr waren wichtiger als ich es mir jemals gedacht hätte. Die Qualifikation hätte ich mir ganz anders vorgestellt, aber so ist das im Leben wahrscheinlich oft. Wege entstehen eben dadurch, dass wir sie gehen. Meiner hat mich nach Tokyo geführt.

 

Juni 2021 – Staatsmeisterschaft. Eine Herzensangelegenheit. Die Qualifikation war also vorbei, und damit ist eine große Last abgefallen. Nachdem ich aber bei den Weltcups keine Ergebnisse gezeigt habe und noch dazu die Staatsmeisterschaft im heurigen Jahr in Stattegg stattgefunden hat, knapp zehn Kilometer von meiner Wahlheimat Graz entfernt, war das Rennen für mich persönlich besonders wichtig. Die Sonne sorgt für einen wunderschönen Frühsommertag. Ich habe mich zum ersten Mal in meiner Karriere zum Staatsmeister gekrönt. Im Ziel empfangen mich meine Eltern, mein Trainer und mein Teamchef. Viel besser hätte es eigentlich nicht sein können.
Zeit zum Feiern blieb nicht, denn im Kalender war ein Tag schon wieder rot angestrichen, der 26. Juli. Olympia.

 

Juli 2021 – Olympische Spiele

Graz. Bis zum Abflug nach Japan gab es noch einiges zu tun. Neben diversen Formularen, Tests und Monitoring für gesundheitlich sichere Spiele stand die finale Vorbereitung am Rad natürlich an oberster Stelle. In Graz habe ich dafür glücklicherweise perfekte Bedingungen gehabt. Bis zu 34 Grad im freien, kombiniert mit Hitze Einheiten auf dem Rollentrainer im eigenen Badezimmer, sollten mich auf die heiß schwülen Bedingungen in Japan vorbereiten. Hitze Training macht keinen Spaß, so viel kann ich euch versprechen. In der Theorie sollte man nach 45 Minuten an die 40 Grad Körpertemperatur erreichen und genau so hat es sich angefühlt. Hin und wieder habe ich mich gefragt, ob das wirklich funktionieren kann. Zeit für Zweifel bleibt in so einer Vorbereitung aber nicht. In den letzten acht Tagen vor der Anreise habe ich meine Uhr und meinen Biorhythmus um 4 Stunden nach vorne gestellt, die restlichen 3 Stunden vor Ort waren dann kein großes Problem mehr.

Tokio. Ich bin in Tokyo angekommen. Die ersten Eindrücke? Während der Busfahrt in Richtung Izu Cycling Village schlafe ich erst einmal eine Stunde und nachdem wir dann noch immer eine Weile durch die Stadt gebraucht haben, konnte ich mir ungefähr vorstellen, wie groß Tokyo ist. Die Radsportdisziplinen hatten ein eigenes, kleines olympisches Dorf, abgelegen auf einem grün bewachsenen Hügel, mit Aussicht auf den Mount Fuji. Perfekt für eine ruhige Vorbereitung fern von Trubel und Medien.
Die Chance, am dritten Tag die Strecke zu Fuß zu besichtigen, habe ich so gut wie möglich genutzt, und beim ersten Streckentraining am Tag darauf hat für mich alles perfekt funktioniert. Wir haben mein Rad eingestellt, die Reifenwahl getroffen und meine Linien habe ich einstudiert. Drei Tage bis zum Rennen.

Die Zeit verging unglaublich schnell, zwischen Ankunft und Rennen waren aber auch nur 5 Tage. Auf der 30-minütigen Busfahrt nach dem letzten Streckentraining zurück ins Dorf, mit Musik im Ohr und dem Blick hinaus auf die knallgrünen Reisfelder, kam zum ersten Mal so richtig die Nervosität.
Finale. Am Renntag ist mein Kopf wie so oft leer. Auch diesmal kann ich mich nur an gewisse Schlüsselmomente erinnern. Meine Stärke am Start kann ich ausspielen und mit etwas Mut rechts außen, zwischen Bande und Gegner, eine Menge Positionen gutmachen. Ich kämpfe und bewahre in einem unglaublich hektischen Rennen die Ruhe. Auf Rang 17 überquere ich die Ziellinie. Glücklich über mein Ergebnis, stolz auf meine Leistung. Ich bin nach Tokyo gekommen und habe mein persönliches Maximum herausgeholt. Im Nachhinein würde ich nichts anders machen.

Danksagung. Die Olympischen Spiele waren mein absolutes Highlight in diesem Jahr. Was bleibt, sind die schönen Erinnerungen, und von denen ich heuer eine Menge habe. Im Juli hatte ich die Ehre, mir mein KTM Scarp Exonic, eigens für die olympischen Spiele, persönlich in Mattighofen abzuholen. Im Rahmen einer Pressekonferenz hatte ich unter anderem auch die Möglichkeit, die Firma samt Geschäftsführung und Inhaberin kennenzulernen. 2020 war mein Wunsch, mit einer Olympiateilnahme den richtigen Menschen etwas zurückzugeben und die Wertschätzung, welche ich an diesem Tag gespürt habe, hat mir persönlich sehr viel bedeutet. Der Wechsel ins KTM Factory MTB Team war die richtige Entscheidung und ich bin stolz, KTM Athlet zu sein. Zu den Menschen, bei denen ich mich bedanken will, gehört nicht nur die Firma KTM Fahrrad und das KTM Factory MTB Team, sondern natürlich auch meine Familie, Freunde, Trainer, Sponsoren, Betreuer und Wegbegleiter.

Meine nächsten großen Ziele sind gesteckt, und schon bald gibt es wieder eine neue Geschichte zu erzählen.

Euer Max.

 

Zur Person: 

Maximilian Foidl

Team: KTM Factory MTB Team

Geboren am 08.10.1995

Gebohren in: St. Johann in Tirol

Wohnhaft: Graz